Irland – das einstige Armenhaus Europas
– Für die, die sich noch mehr für Irland interessieren. –
Auf dem Bild ist das Arbeitshaus in Dunfanaghy zu sehen. Es war das örtliche Arbeitshaus, das die Armen am Leben und in Arbeit halten sollte. Zwei Jahre nach der Eröffnung 1845 lebten dort 600 Menschen. Ich möchte das Haus zum Anlass nehmen, um über die große Hungersnot und die wirtschaftliche Lage Irlands zu schreiben.
Lange Zeit galt Irland als das Armenhaus Europas. Zwischen 1845 und 1849 ereignete sich in Irland eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes. Die große Hungersnot kostete rund einer Million Iren das Leben.
Im 19. Jahrhundert war die Kartoffel die vorherrschende Ernährungsgrundlage der irischen Bevölkerung. Zwar war Irland auch reich an Getreide, jedoch kamen den Iren ihre Ernten nicht zugute, denn das Getreide ging nach Großbritannien. Die irischen Bauern waren meist Pächter englischer Grundherren, die oft gar nicht selbst in Irland, sondern im fernen England lebten. Für diese rackerten die Iren auf den Feldern und hatten für die eigene Versorgung nur den weniger fruchtbaren Boden zur Verfügung.
1842 kam es in den USA zu einer mysteriösen Fäulnis der Kartoffeln. In Europa machte man sich darüber zunächst keine Sorgen. 1845 gab es dann das böse Erwachen. Im milden regnerischen Irland verbreitete sich die Fäule in den nächsten drei Jahren wie ein Lauffeuer. Da das Getreide an die englische Krone abgetreten werden musste, hatte die irische Bevölkerung bald nichts mehr zu essen.
Die irischen Kleinbauern konnten ihre Pacht bei den englischen Grundherren nicht mehr bezahlen und wurden fortgejagt. Ihre Heime wurden zerstört und oft in Brand gesteckt, um zu verhindern, dass sie zurückkommen konnten. Auf Hilfe von Seiten der englischen Obrigkeit konnten die Iren daher nicht hoffen. Viele vertraten gar die Meinung, die Hungersnot sei ein gutes Mittel gegen die Überbevölkerung Irlands und eine willkommene Gelegenheit, die als sturköpfig geltenden Iren zu disziplinieren.
In den Jahrzehnten nach der Hungersnot kehrten 2 Millionen Iren ihrer Heimat den Rücken, um ihr Glück in einem anderen Land zu versuchen. Die meisten gingen nach Kanada, Australien und in die USA. Mit ihnen brachten sie ihre Kultur und ihre Geschichte in die neue Heimat.
Auch die Zustände für die Zurückgebliebenen waren unvorstellbar schrecklich. Die Menschen starben zu Tausenden und die ausgezehrten Angehörigen hatten oft nicht einmal mehr die Kraft, Gräber auszuheben. So stapelten sich die Leichen am Straßenrand oder wurden notdürftig im Sand des nächstgelegenen Strandes verscharrt. Zehntausende abgemergelte, zerlumpte Gestalten hausten in Erdhöhlen oder zogen bettelnd umher. Geschwächt wie sie waren, waren sie leichte Beute für Typhus oder Cholera.
Ganz tatenlos konnte die englische Regierung nun aber auch nicht zusehen, wie die irische Bevölkerung dahinsiechte. Es wurden sogenannte Arbeitshäuser errichtet oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durchgeführt. Die Idee war, Essen gegen Arbeit zu tauschen. Die Lebensbedingungen in diesen Arbeitshäusern waren katastrophal und auch hier starben die Menschen zuhauf. Die Überreste der oftmals sinnfreien Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finden sich noch heute in Irland. Etwa Straßen, die ins Nichts führen oder die noch heute erhaltene Steinmauer zu Fuße des Croagh Patrick.
Erst durch die Gründung des irischen Freistaats 1921, beginnt sich diese Situation zu ändern. Irland emanzipiert sich zunehmend vom Königreich (ein ganz eigenes großes Thema) und beginnt, sich dem weltweiten Markt zu öffnen.
1973 tritt die Republik Irland der Europäischen Gemeinschaft bei. Damit beginnt für die Grüne Insel ein neues politisches und wirtschaftliches Kapitel. Die EU-Subventionen, die in den 70er und 80er Jahren an Irland fließen, helfen dem damals ärmsten Land der Europäischen Gemeinschaft langsam auf die Beine. Die EU-Fördergelder werden in die Infrastruktur, den Bildungsbereich und den Wohnungsbau gesteckt. Diese Investitionen machen sich bald bemerkbar und Irlands Wirtschaft wächst in den 80er Jahren enorm.
Internationale High-Tech-Firmen beginnen, sich für die Insel zu interessieren. Eine niedrige Körperschaftssteuer und gut ausgebildete, englischsprachige Arbeitskräfte, die zumindest anfangs noch mit geringen Löhnen zufrieden sind, machen das Land attraktiv. IBM, Dell, Intel, Amazon und Microsoft gehörten zu den ersten großen Firmen, die sich niederlassen. Die großen Unternehmen bringen Geld auf die Insel und stellen zahlreiche junge Iren ein. Das Wirtschaftswachstum Irlands ist in diesen Jahren enorm – um ganze sechs Prozent wächst Irlands Wirtschaft jährlich. Das führt sogar dazu, dass ausgewanderte Iren wieder in ihre Heimat zurückkehren.
2008 stürzte die Wirtschaft Irland in eine Krise. Viele Iren haben sich wegen der niedrigen Zinsen verschuldet und können die Kredite nun nicht mehr zurückzahlen. Irland kommt daraufhin wie Griechenland, Zypern, Spanien und Portugal unter den Europäischen Rettungsschirm. Die irische Regierung beschließt ein rigides Sparpaket, das unter anderem Kürzungen der Sozialleistungen und Kürzungen im Öffentlichen Dienst vorsah. Gleichzeitig erhöht der irische Staat Steuern und Abgaben. 2013 kann Irland auf diese Weise wieder aus dem EU-Rettungsschirm aussteigen.
Irlands Wirtschaft ist wieder auf Wachstumskurs. Wenn wir durch das Land fahren sehen wir schöne Häuser und schließen daraus, dass es den Iren gut geht. Welche Auswirkungen allerdings der Brexit und nun Corona haben, wird sich erst noch zeigen.


